ETH-Expertin Dr. Nadine Bienefeld über das Arbeiten der Zukunft

Lächelnde Frau mit Anzug und Perlenohrringen

Die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH) zählt zu den renommiertesten Hochschulen der Welt. Compresso unterstützt die Eventabteilung der ETH seit 2017 mit der Beratung und Organisation von diversen Veranstaltungen – etwa der ETH-Woche, der Unitech GA oder dem CYBATHLON. Unser Know-how fliesst unter anderem in das Volunteer Management, das Akkreditierungskonzept sowie das Rahmenprogramm. Aber wie sieht das Arbeiten der Zukunft für Unternehmen allgemein aus? Dies verrät uns die ETH-Expertin Dr. Nadine Bienefeld vom Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie.

Wie sehr hat sich das Arbeiten im letzten halben Jahr verändert?
Sehr stark. Es hat eine Beschleunigung der digitalen Transformation in der Arbeitswelt stattgefunden. In Zusammenarbeit mit der KOF, der Konjunkturforschungsstelle der ETH, haben wir in einer repräsentativen Umfrage bei Unternehmen im Spätherbst 2016 herausgefunden, dass in der Schweiz weniger als 46 Prozent aller Unternehmen aus allen Industrien und Segmenten ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit bieten, im Homeoffice zu arbeiten. In der Schweiz haben wir sehr viele KMUs, da sind die Möglichkeiten weniger gegeben, weil vorher keine Notwendigkeit bestand. Es war gar kein Thema. Jetzt hat man müssen und so haben viele Leute die positiven Aspekte entdeckt und Gefallen daran gefunden.

Haben viele Arbeitgeber Angst, dass ihre Mitarbeitenden im Homeoffice nicht so produktiv sind?
Während des Lockdowns haben wir eine aktuelle Studie unter allen ETH-Mitarbeitenden gestartet und auch Daten von anderen Unternehmen erhoben. Laut qualitativen Daten – also Aussagen von verschiedenen Mitarbeitenden – hängt die Zurückhaltung gegenüber dem Homeoffice wahrscheinlich schon stark mit der Unternehmens- und der Vertrauenskultur zusammen. Viele Mitarbeitende haben jedoch berichtet, dass sie im Homeoffice sogar produktiver waren, effizienter arbeiten konnten. Auch andere Studien (z.B. von Deloitte Schweiz) haben gezeigt, dass die messbaren Output-Faktoren der Leistung tatsächlich höher waren. Arbeitnehmer sehen, dass sie ihren Mitarbeitenden vertrauen können, jetzt muss man mit den einzelnen Teams in Dialog treten. Was finden wir für hybride Mischformen fürs Arbeiten daheim und vor Ort?

Homeoffice wird also weiterhin ein Thema sein?
Das glaube ich und hoffe ich. Wir haben jetzt ein «natürliches Experiment» erlebt und es hat eine Trendwende gegeben. Es wäre schade, wenn die Vorteile des Homeoffice nicht mehr genutzt werden würden. Wünschenswert wäre es, eine Mischform zu etablieren.

Google hat beschlossen, dass sämtliche Mitarbeitenden bis Sommer 2021 im Homeoffice bleiben sollen. Fehlt da nicht der persönliche Austausch?
Das hat viel mit der Unternehmenskultur von Google zu tun. Mit den Mitarbeitenden und was sie für Präferenzen haben. Aber auch bei den digitalen Medien findet ein interpersoneller Austausch statt. Man redet von «sozialer Präsenz» in den digitalen Medien, hierbei kann man verschiedene Kanäle nutzen – Zoom mit Video etwa ermöglicht natürlich einen viel persönlicheren und wertvolleren Austausch als jener via Mail, Chat oder Telefon. Wenn man das kunstvoll handhabt, leidet der soziale Austausch nicht. Aber klar, wir sind soziale Wesen. Jeder, der mal eine digitale Kaffeepause oder einen Zoom-Apéro erlebt hat, weiss, dass es nicht dasselbe ist. Der Austausch ist eben doch nicht so, als wenn man sich bei der Kaffeemaschine trifft. Er ist nicht so ungeplant und ungezwungen. Da hängt es wirklich ganz stark von der einzelnen Person und ihren Bedürfnissen ab und von der Unternehmenskultur sowie der jeweiligen Aufgabe.

Gibt es noch weitere Trends für das Arbeiten der Zukunft?
Das ganze flexible Arbeiten «Work anytime anywhere», also zum Beispiel die Möglichkeiten von Co-Working-Spaces. Auch Gig Economy – dass man nicht mehr per se einem Unternehmen zugehörig ist, sondern nur für einen Auftrag – ist ein grosser Trend, der die ganze Arbeitswelt nachhaltig verändert. Das ist eine ganz wichtige Form, die die Rolle und den Status der Arbeitnehmenden und sogar die ganze Unternehmensform nachhaltig verändert und beeinflusst. Mein Fokus-Forschungsthema ist «Teamarbeit mit künstlich intelligenten Technologien». Wie werden wir in Zukunft mit Smart Technologies zusammenarbeiten? Wie verändert dies die Arbeitsaufgabe, die Arbeitsprozesse, die Arbeitsrolle usw. Wie ist die zunehmende Automatisierung durch KI in der Arbeitswelle 2.0 genutzt? In der einen oder anderen Form wird es uns alle betreffen. Momentan sieht der Stand der Forschung so aus, dass die Maschine den Menschen nicht ersetzt, sondern dass es ein Miteinander sein wird.

Was genau versteht man unter Work Design?
Das aktive Gestalten von Arbeitsaufgaben, Prozessen und Systemen. Der historische Ursprung liegt in der Industrialisierung, als man das soziotechnische System erstmals optimieren wollte. Das Förderband bei Ford zum Beispiel. Man hat aber gemerkt, wenn man nur das Arbeitssystem optimiert, der Mensch aber limitiert wird auf minime Ausführungsschritte, fällt die Motivation weg. Daher hat Work Design sehr viel mit Motivation zu tun – die Art, wie Arbeit gestaltet ist, bedingt, wie stark wir als Arbeitnehmer durch die Tätigkeit motiviert sind. Ist die Arbeit ganzheitlich? Habe ich ein Autonomieempfinden? Habe ich Freiheit bei der Entscheidung, wann ich welchen Teil ausführe? Kann ich mich vernetzen?

Die persönliche Motivation ist also eng verknüpft mit dem Erfolg eines Unternehmens.
Ganz eindeutig – da kann man Dollar- oder Frankenzeichen davorsetzen (lacht). Das kann man berechnen. Man weiss, dass die Motivation einen direkten Einfluss hat auf die Produktivität, auf die Leistung der Mitarbeitenden. Also zum Beispiel Absenzen oder Turnover. Es ist jedoch erstaunlich, dass es nur sehr wenige Unternehmen gibt, die sich proaktiv Gedanken machen über die Gestaltung von Arbeitsprozessen, insbesondere beim Einführen von neuen Technologien.

Die Welt wird immer individualisierter, die Menschen arbeiten zunehmend für sich, zuhause oder an unterschiedlichen Orten – wie wichtig ist Teamwork überhaupt noch?
Das ist vielleicht ein Paradox. Denn im Vergleich zu vor zehn Jahren ist die Welt komplexer geworden, ist der Arbeitnehmer auf sich allein gestellt. Ohne Netzwerk, ohne Teams ist eine Arbeit gar nicht mehr möglich. Aufgrund der Komplexität sind wir als Individuum darauf angewiesen, zusammenzuarbeiten.

Also ist Vernetzung elementar?
Ja, zum einen ist es ein Grundbedürfnis des Menschen, sich sozial auszutauschen. Durch die technischen Möglichkeiten wird dies vereinfacht. Ich habe gerade an einer digitalen Konferenz mit 20 000 Teilnehmern teilgenommen aus der ganzen Welt, eine ganze Woche lang, das hat super funktioniert. Vor wenigen Jahren wäre das fast nicht vorstellbar gewesen. Das Grundbedürfnis des Menschen, sich zu vernetzen, wird durch die technologischen Entwicklungen auf keinen Fall abnehmen.

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